Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Informationsveranstaltung beim Deutsch-Niederländischen Corps

Das Völkerrecht kategorisiert die Europäische Union als Völkerrechtssubjekt sui generis, als ein historisch einmaliges politisches System, welchem es an sachgemäßer Vergleichbarkeit zu bestehenden Staatsgebilden oder internationalen Organisationen mangelt. Damit führt die besondere Ausgestaltung des politischen Systems der EU Alleinstellungsmerkmale herbei, welche die Politikgestaltung auf europäischer Ebene maßgeblich prägen. Eine Besonderheit ist die Abgabe von Kompetenzen zur Setzung von Recht an die Europäische Union durch ihre Mitgliedstaaten. Dies geschieht im Rahmen einer begrenzten Einzelermächtigung, sodass die Europäische Union Belange in unterschiedlichen Politikfeldern gemäß ihrem eigenen Interesse regeln kann. Die Mitgliedstaaten der europäischen Union haben auf diese Weise eine Vielzahl von nationalstaatlichen Kompetenzen an die Unionsgemeinschaft abgegeben. So teilen sich viele Staaten die gleiche Währung, verfolgen eine geschlossene Außenhandelspolitik oder vereinen ihre Volkswirtschaften über den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt. Auch in sicherheitspolitischen Angelegenheiten koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Politiken und versuchen über das Amt der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik mit einer gemeinsamen Stimme in der Welt zu sprechen. Gemeinsame europäische Streitkräfte sind gegenwärtig jedoch noch nicht aus dem politischen Geflecht der EU hervorgegangen.
Auf welche Ursachen dies zurückgeführt werden kann und unter welchen Voraussetzungen bi- und multinationale sicherheitspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene funktioniert, erläuterten zwei Angehörige des Deutsch-Niederländischen Corps aus Münster den Interessierten des Steinfurter Kreisverbandes der Europa-Union, der Jungen Europäischen Föderalisten und des Europe Direct Informationszentrums Steinfurt. In Kooperation mit dem ersten Deutsch-Niederländischen Corps lud der Kreisverband Steinfurt der Europa-Union Deutschland zu einer Informationsveranstaltung an den Münsteraner Schlossplatz. Die Oberstleutnante Rainer Schmidt und Detlef Merchel führten die Gäste durch die zweistündige Veranstaltung und klärten das anwesende Publikum zunächst über die Entstehungsgeschichte, die Struktur und die sicherheitspolitische Einbindung des Deutsch-Niederländischen Corps auf.
Das 1995 gegründete, binationale Corps wurde 2002 in die Struktur der Nato-Headquarter eingegliedert. Durch beide Staaten anteilig finanziert und hauptsächlich durch niederländisches bzw. deutsches Personal besetzt, agiert das Corps als „Provider von Militärstrategie im Falle einer Bündnisverteidigung nach Art. 5 des NATO-Vertrages oder in Stabilisierungseinsätzen außerhalb eines NATO-Mitgliedsstaates.“ Im Zuge dessen übernahmen die rund 400 Soldatinnen und Soldaten das Deutsch-Niederländischen Corps in Münster Aufgaben in der International Security Assistance Force in Afghanistan (ISAF) und stellten über verschiedene Zeiträume mobile Kommandostrukturen für eine schnelle Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force).
Grundsätzlich bewerteten beide Referenten die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen europäischen Staaten als vorteilhaft. Bi- und multinationale militärische Zusammenarbeit führe für die beteiligten Staaten primär zu geringeren Kosten so Schmidt. Gerade die ökonomischen Lasten für die Bereitstellung kostenintensiver militärische Fähigkeiten könnten so durch mehrere Parteien getragen und genutzt werden. Auch profitiere man von unterschiedlichen Ausbildungs- und Führungsstrukturen in den nationalen Streitkräften. Gerade auf der Führungsebene bereichere dies die gemeinsame Zusammenarbeit und schaffe neue Perspektiven.
Andere Herangehensweisen an die Bewältigung globaler Krisenlagen, werde zu dem durch die Möglichkeit eines rein europäischen Engagements eröffnet. Das Deutsch-Niederländische Corps sehe sich in erster Linie als Adressat der Europäischen Union. Demgegenüber nachrangige Bedeutung habe eine Inanspruchnahme durch die NATO oder die Vereinten Nationen, bekräftigten die Offiziere. Dies führe zu strategischen Vorteilen bei Kooperationen mit Einsatzstaaten, die ein militärisches Engagement der Europäischen Union, im Gegensatz zu NATO geführten Aktivitäten, dulden und begrüßen.
Problematischer bewerteten beide Referenten die Zusammenarbeit operativer Truppenteile aus unterschiedlichen Nationen in tatsächlichen militärischen Einsätzen oder Übungen. Die Kompatibilität von Waffen- und Transportsystemen sowie Kommunikationstechnologie sei aufgrund der oftmals überwiegend national gestalteten Rüstungsbeschaffung nicht immer gegeben. Mit Hinblick auf die Aufstellung gemeinsamer europäischer Streitkräfte betonte Oberstleutnant Schmidt die notwendige Vorbedingung einer harmonisierten und zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmten europäischen Rüstungs- und Beschaffungspolitik. Bereits diese stelle, ob der ökonomischen sowie strategischen Bedeutung des Industriezweiges, für viele größere Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine zu hohe Hürde dar.
Zu dem wiesen die Vortragenden auf die Problematiken bezüglich der Vereinbarkeit einer gemeinsamen europäischen Streitkraft mit dem Grundgesetz hin. Das Grundgesetz sieht bei der Mandatierung von militärischen Einsätzen im Allgemeinen einen Parlamentsbehalt vor. Um gemeinsame europäische Streitkräfte und deren Wirken auf gleichwertige Weise demokratisch zu kontrollieren und zu legitimieren, bedürfe es einer tiefgreifenden Veränderung des Institutionengeflechts der Europäischen Union zugunsten des europäischen Parlamentes sowie eine Änderung des Grundgesetztes.
Abschließend resümierten die Oberstleutnante, dass zukünftig wohl mit einer weiteren Vertiefung der begonnen militärischen Zusammenarbeit auf europäischer und transatlantischer Ebene unter Führung der einzelnen Nationalstaaten zu rechnen sei.

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